War die Weltmeisterschaft 2018 wirklich so spannend und überraschend?

War die Weltmeisterschaft 2018 wirklich so spannend und überraschend?

LINKEDIN
SOCIALICON
Facebook
Twitter
Follow Me
YOUTUBE

Die Weltmeisterschaft 2018 in Russland ist vorbei. Viele Liebhaber des Fußballs fallen jetzt sicher erstmal in ein Loch. Zumindest bis Ende August 2018 die Bundesliga wieder startet.

Aus deutscher Sicht war die WM 2018 viel früher zu Ende als geplant. Das war auch einer der Gründe, warum ich das WM-Fieber bei mir nicht bis zum Ende hoch halten konnte. Ich habe natürlich alle Spiele verfolgt, allerdings wesentlich distanzierter als bei deutscher Beteiligung. Ich glaube, das ist normal.

Das Ausscheiden des Titelverteidigers in der Vorrunde war definitiv eine Überraschung. Zumal die deutsche Mannschaft (gemeinsam mit Brasilien) laut Wettquoten der Titelfavorit war. So sehr können sich die Experten und Wettquoten irren.

Ich habe das zum Anlass genommen, um mir einmal anzuschauen, wie viele der 64 Spiele der Weltmeisterschaft durch den Zufall entschieden wurden. In den ersten Beiträgen dieses Blogs haben wir uns schon mit dem Konzept des Zufalls im Fußball und der Messbarkeit beschäftigt.

Heute wende ich diese Prinzipien an. Gemeinsam erfahren wir so, wie spannend und überraschend die Weltmeisterschaft wirklich war.

Zufall im Fußball

Solltest Du nicht jeden der über 100 Beiträge auf diesem Blog gelesen haben, möchte ich noch einmal kurz zwei Dinge wiederholen:

  1. Der Zufall wirkt im Fußball durch eine überdurchschnittlich gute / schlechte Tagesform der Teams oder externe Ereignisse. Dies können Fehlentscheidungen oder individuelle Fehler sein. Alle Details zu den Wirkungsformen im Fußball findest Du im Beitrag: Der Einfluss vom Zufall im Profifußball ist größer, als wir denken
  2. Wir können den Anteil der durch Zufall entschiedenen Spiele bei der Weltmeisterschaft über die Wettquoten ermitteln. Die Quoten lassen sich in Wahrscheinlichkeiten umrechnen. Wann immer nicht das wahrscheinlichste Ergebnis eintritt, muss der Zufall am Werk gewesen sein. Hier erfährst Du im Interview mit dem Begründer dieser Theorie, wie man den Einfluss von Zufall im Profifußball misst.

Einen Nachsatz hierzu kann ich mir nicht nehmen lassen. Durch die Einführung des Video Assistant Referee (VAR), oder umgangssprachlich auch Videobeweis konnten mit Sicherheit einige Fehlentscheidungen verhindert werden.

Wir werden sehen, dass der Zufall trotzdem einen großen Einfluss auf den Ausgang der Weltmeisterschaft hatte.

Vorgehen

Mein Vorgehen orientiert sich stark an der von Dr. Jörn Quitzau im Interview mit mir erläuterten Methodik. Ich habe mir die Wettquoten aller Partien angeschaut.

Anschließend habe ich das wahrscheinlichste Ergebnis mit dem tatsächlichen Ausgang verglichen. Wann immer die beiden einander entsprechen, ist genau das passiert, was alle erwartet haben. Das gilt beispielsweise für das 2:1 von Deutschland gegen Schweden. Niemand hat allerdings so ein nervenaufreibendes Spiel erwartet.

Der Markt ist davon ausgegangen, dass Deutschland gegen Schweden gewinnt. Genauso ist es auch gekommen. Der Weg dahin ist irrelevant. Am Ende zählen die geschossenen Tore. Das wissen wir nicht erst seit gestern :-).

Weicht das tatsächliche Ergebnis jedoch vom erwarteten ab, können wir vom Zufall sprechen. Es muss dementsprechend irgendwas auf dem Platz passiert sein, was vorher nicht absehbar war.

Auch hier bedienen wir uns wieder einem Deutschland Spiel als Beispiel: Die wenigsten haben damit gerechnet, dass der Titelverteidiger gegen Südkorea verliert. Trotzdem ist es so gekommen. Das Spiel geht somit in die Kategorie vom Zufall beeinflusste Spiele ein.

Die Leistungen der Mannschaften waren nämlich nicht wie vorher erwartbar.

Zufall bei der Weltmeisterschaft 2018

Bevor Du weiter liest, würde ich Dich bitte, einmal kurz zu schätzen, wie viel Prozent der Spiele nicht so ausgegangen sind, wie zu erwarten war.

Deine Schätzung würde mich jetzt sehr interessieren. Ich löse das Rätsel aber auf: Bei der Weltmeisterschaft 2018 wurden 34 % der 64 Spiele durch den Zufall beeinflusst. Das macht immerhin insgesamt 22 Spiele. Zum Vergleich: In der Bundesliga werden in etwa 50 % der Spiele durch den Zufall entschieden.

Nachfolgend findest Du zwei Auswertungen.

  1. Die Anzahl und relative Häufigkeit von durch den Zufall entschiedenen Spielen je Spieltag.
  2. Die Anzahl und relative Häufigkeit von durch den Zufall entschiedenen Spielen je Mannschaft.

Zufall je Spieltag bei der Weltmeisterschaft 2018

Nachfolgend findest Du die Antwort auf die Frage: Wie viel Prozent der Spiele sind bei der Weltmeisterschaft 2018 je Spieltag durch den Zufall entschieden worden?

Anteil der Spiele, die je Spieltag bei der Weltmeisterschaft 2018 durch den Zufall entschieden wurden
Anteil der Spiele, die je Spieltag bei der Weltmeisterschaft 2018 durch den Zufall entschieden wurden

Dabei fällt auf, dass sich der Anteil der durch den Zufall beeinflussten Spiele je Spieltag stark unterscheidet. Ab der K.O-Runde (also ab dem Achtelfinale) finden je Spieltag natürlich immer weniger Spiele statt. Während es noch acht Spiele im Achtelfinale gibt, sind es im Viertelfinale vier und im Halbfinale zwei.

Im (kleinen) Finale findet dann jeweils sogar nur ein Spiel statt. Dementsprechend sind die Ergebnisse auch extrem: In beiden Spielen liegt der Einfluss des Zufalls auf das Endergebnis bei 0 %. Wäre jedoch ein Spiel anders ausgegangen, wäre es gleich bei 100% gewesen.

Aber auch die Spieltage zuvor geben uns Einblick auf den Einfluss des Zufalls auf die Weltmeisterschaft 2018. Am ersten Spieltag (einer jeden Gruppe) lag der Einfluss des Zufalls bei 44%. Fast jedes zweite Spiel ist anders ausgegangen als es anzunehmen war. Das gleiche Phänomen finden wir am letzten Spieltag der Gruppenphase vor.

Den höchsten Wert über den Einfluss des Fußballs auf die Endergebnisse der Spiele bei der Weltmeisterschaft 2018 finden wir im Halbfinale vor. Eine der zwei Halbfinalbegegnungen endete somit anders als prognostiziert. England verlor gegen die Kämpfer aus Kroatien, die ich bereits in meinem emotionalen Rückblick auf die WM 2018 intensiver und vor allem sehr anerkennend beleuchtet habe.

Zufall je Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 2018

Aus meiner Sicht ist ein Blick auf den Einfluss des Zufalls auf die Endergebnisse der Weltmeisterschaft 2018 je Mannschaft ebenfalls sehr lohnenswert. Deshalb siehst Du unten stehend, wie stark die Spiele einzelner Mannschaften vom Zufall beeinflusst wurden.

Anteil der Spiele, die je Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 2018 durch den Zufall entschieden wurden
Anteil der Spiele, die je Mannschaft bei der Weltmeisterschaft 2018 durch den Zufall entschieden wurden

Natürlich ist es zu viel verlangt, dass Du Dir die Zahl eines jeden Landes detailliert anschaust. Legen wir den Fokus für den Moment deshalb einmal auf Deutschland.

Spanien und Deutschland „weit vorne“

In dieser Auswertung ist unsere Nationalmannschaft auf Platz 2. Das bedeutet, von allen 32 teilnehmenden Mannschaften der Weltmeisterschaft 2018 wurden nur die Ergebnisse einer anderen Nation stärker durch den Zufall beeinflusst – Spanien.

Als amtierender Weltmeister sind wir (gemeinsam mit Brasilien) als Favorit in das Turnier gestartet. Das haben wir in meinem Beitrag zu den wichtigsten wirtschaftlichen Hintergründen zur WM 2018 bereits festgestellt. Dementsprechend sind wir auch in den meisten Spielen als Favorit ins Rennen gegangen. Insbesondere in der Gruppenphase gegen vermeintlich schwache Gegner.

Zwei der drei Deutschen Gruppenspiele endeten jedoch anders als es vorher für am wahrscheinlichsten gehalten wurde. Einerseits verloren wir das erste Gruppenspiel gegen Mexiko. Andererseits mussten wir uns im dritten Gruppenspiel Südkorea geschlagen geben. Lediglich im zweiten Gruppenspiel gewannen wir wie erwartet – wenn auch wesentlich knapper als wir uns das alle vorgestellt haben.

Dementsprechend ist ein zweiter Platz in diesem Ranking für einen Favoriten alles andere als erstrebenswert. Ein Außenseiter, von dem man erwartet, dass er alle Spiele verliert, wünscht sich so einen Platz schon eher. Das würde nämlich bedeuten, dass er nicht wie erwartet alle Spiele verloren hat.

Spanien – in diesem Ranking auf Platz 1 – hat es übrigens ebenfalls hart getroffen. Zwar setzten die Südeuropäer sich in der Gruppenphase durch, verloren aber im Achtelfinale überraschend gegen Russland. Und auch der Weg in die K.O.-Runde war alles andere als Souverän. Lediglich eines der drei Gruppenspiele konnte gewonnen werden, während die anderen beiden unentschieden ausgingen.

Die andere Seite des Rankings

Auf der anderen Seite des Rankings finden wir mit Ausnahme von Mexiko ausschließlich Länder, die in der Gruppenphase ausgeschieden sind. Dies wurde im Vorhinein entsprechend erwartet, weshalb kein einziges Endergebnis dieser Mannschaften bei der Weltmeisterschaft 2018 durch den Zufall beeinflusst wurde.

Auch Mexiko musste sich im Achtelfinale geschlagen geben und verlor gegen Brasilien – das wurde im Vorhinein genauso erwartet.

Nachsatz zur Definition des Zufalls

Ich möchte noch ein paar Worte zur Definition des Zufalls im vorliegenden Beitrag verlieren. Es scheint nun so als wären beispielsweise die Favoriten aus Spanien und Deutschland durch Zufall ausgeschieden.

Dies heißt jedoch nicht, dass die Teams keinen Einfluss auf ihr Ausscheiden hatten. Sie wurden nicht Opfer einer höheren Gewalt oder schlechter Entscheidungen durch die Schiedsrichter.

Vielmehr konnten die Teams ihre erwartbare Form nicht abrufen oder wie man so schön sagt „auf den Rasen bringen“. Laut wissenschaftlicher Definition fällt auch das in den Bereich des Zufalls. Wir konnten es nämlich vorher nicht absehen.

Fazit zur Weltmeisterschaft 2018

Sportlich war die Weltmeisterschaft 2018 aus deutscher Sicht natürlich enttäuschend. Ich habe bereits über die emotionalen Aspekte geschrieben und möchte mich deshalb auf die Spannung konzentrieren.

Laut meiner Analyse wurden insgesamt 22 der 64 Spiele (34 %) durch den Zufall beeinflusst. In Gesprächen mit Freunden und Kollegen sind wir immer wieder an den Punkt gekommen, dass wir gesagt haben: Das konnte ja niemand ahnen.

Genau das macht den Fußball ja so spannend und sehenswert. Ich freue mich auf viele Überraschungen in der kommenden Saison :-).


Du möchtest mit mir inhaltlich über ein Thema Deiner Wahl diskutieren und gegebenenfalls sogar meine Unterstützung dafür gewinnen? Dann schreib mir eine Mail oder melde Dich über die sozialen Netzwerke – klicke dafür auf die Icons unterhalb dieses Textes.

LINKEDIN
SOCIALICON
Facebook
Twitter
Follow Me
YOUTUBE

2 thoughts on “War die Weltmeisterschaft 2018 wirklich so spannend und überraschend?

  • 3. August 2018 at 13:06
    Permalink

    Gut wäre sicherlich ein Vergleich dieser Weltmeisterschaft mit anderen Weltmeisterschaften gewesen.
    Klar ist: die deutsche subjektive Wahrnehmung lässt viele Leute glauben, dass es viele Überraschungen gegeben hat, davon kann aber mitnichten die Rede sein. Außer Deutschland gab es in der Gruppenphase bezüglich des Weiterkommens keine Überraschung. Und auch in der Endrunde kann nur bei Russlands Sieg über Spanien von einer Überraschung gesprochen werden (wobei sich das Ergebnis durch den Heimvorteil und dass das Spiel durch Eöfmeterschießen entschieden wurde relativiert), vielleicht noch bei Kroatiens Sieg über England.

    Die Analyse finde ich aufgrund der Festlegung, wann ein Spiel überraschend ist, etwas schwammig. Wenn die Quote 2,30 zu 2,40 steht, kann man da schon von einer Überraschung sprechen (also von Zufall)? Meiner Meinung nach nicht… Dass solche Spiele also gleich gewertet werden mit Spielen, wo die Quotenverteilung 1,10 zu 12 ist, akzeptiere ich nzr, weil du ja halt ein Maß finden wolltest. Zufrieden stellt es mich aber nicht.

    Auch bei Siegen des Favoriten muss von Zufall gesprochen werden. Nur dass eben die Wahrscheinlichkeit >50% gewesen sein mag, aber Zufall ist es in dem Zusammenhang trotzdem.

    Außerdem kann ich die Werte aus der Tabelle der einzelnen Länder nicht vollständig nachvollziehen. Wird beispielsweise das 3:3 von Spanien gegen Portugal als Zufall gewertet? In welchen Fällen ist ein Unentschieden dann kein Zufall? Nur wenn sie exakt gleichstark eingestuft werden?

    Allgemein finde ich aber sehr gut, dass du dich mit dem Thema beschäftigst und versucht hast, eine passende Darlegungsmethode zu finden.

    Besten Gruß
    Jens Epping
    (dpa video und die ligen)

    Reply
    • 23. August 2018 at 18:42
      Permalink

      Hi Jens,

      entschuldige bitte die späte Rückmeldung.

      Ich kann Deinen Kommentar absolut nachvollziehen. Auf Basis der aktuellen (und stark vereinfachenden Definition) gilt ein Quotenunterschied von 0,1 schon als ausreichend. Außerdem war das 3:3 von Spanien gegen Portugal demnach ein Zufallsergebnis. Darüber lässt sich natürlich streiten.

      Die Definition von „Überraschung“ ist wirklich etwas schwammig. Eigentlich müsste man sich den Spielverlauf genauer anschauen. Das ist aber nur mit erheblichem manuellen Aufwand möglich. Vielleicht nehme ich so eine Analyse später vor :-).

      Liebe Grüße
      Ralf

      Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.