Interview: Wie misst man Zufall im Profifußball?

Interview: Wie misst man Zufall im Profifußball?

LINKEDIN
SOCIALICON
Facebook
Twitter
Follow Me
YOUTUBE

Nach einer Einführung in die Ergebnisse seiner Studien zum Thema Zufall im Profifußball folgt heute das erste Interview auf FussballWirtschaft.de. Jörn Quitzau stellt sich meinen Fragen.


Jörn Quitzau ist Bank-Volkswirt und betreibt nebenher als Sportökonom und Fußballfan die Website www.fussball-oekonomie.de.


FuWi: Lieber Herr Quitzau, vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für das erste Interview von FussballWirtschaft.de nehmen. Seit wann setzen Sie sich wirtschaftlich / wissenschaftlich mit der Fußball-Branche auseinander?

Jörn Quitzau: Ich habe bereits während meines Studiums Mitte der 1990er Jahre angefangen, mich mit den wirtschaftlichen Aspekten des Fußballs auseinander zu setzen. Auslöser war die zentrale Vermarktung der Fernsehrechte durch den DFB.

Als Student der Volkswirtschaftslehre, der sich gerade mit Wettbewerbstheorie und –politik auseinandersetzte, hatte ich den Eindruck, dass die Zentralvermarktung ein unzulässiges Monopol darstellte.

Tatsächlich kümmert sich das Bundeskartellamt schon sehr lange um dieses Thema. Bis heute hat das Kartellamt die Zentralvermarktung aber unter Auflagen immer genehmigt.

FuWi: Wie sind Sie dazu gekommen, den Einfluss des Zufalls auf den Profifußball zu untersuchen?

Jörn Quitzau: Auch das hat mit der Zentralvermarktung zu tun. Der DFB hat das Vermarktungsmonopol hauptsächlich mit dem Argument gerechtfertigt, dass eine Einzelvermarktung durch die Vereine – also die wettbewerbliche Variante der Vermarktung – zur finanziellen und dann auch sportlichen Unausgeglichenheit führen würde, die den Ligawettbewerb langfristig langweilig machen würde.

Die großen und ohnehin schon reichen Vereine wie etwa der FC Bayern München würden durch die Einzelvermarktung immer reicher und die armen Vereine würden finanziell (und dadurch dann auch sportlich) immer weiter zurückfallen. Deshalb brauche man – so der DFB – die Einzelvermarktung mit einer relativ egalitären Verteilung der Fernsehgelder.

Hinter der Argumentation steckt letztlich das „Geld schießt Tore“-Argument. Wer das meiste Geld hat, kann die besten Spieler kaufen und wer die besten Spieler hat, gewinnt zwangsläufig auch die Meisterschaft.

Die strenge Kausalität habe ich als Fußballfan schon immer misstrauisch gesehen. Meines Erachtens gibt es im Fußball neben der Finanzkraft mindestens zwei Erfolgsfaktoren, die ein Klub nicht zusammenkaufen kann:

Mannschaftliche Geschlossenheit und Zufall. Über die Rolle des Zufalls im Fußball kann man hervorragend diskutieren. Wenn man sich dem Thema aber wissenschaftlich nähern möchte, braucht es neben guten qualitativen Argumenten auch belastbare Zahlen.

Deshalb habe ich mir überlegt, wie man den Einflussfaktor Zufall quantifizieren könnte.

FuWi: Um den Einfluss des Zufalls zu quantifizieren, haben Sie die Wettmärkte herangezogen. Wie sind Sie darauf gekommen und wie genau funktioniert das?

Jörn Quitzau: Ich habe mich schon immer für die Kapitalmärkte interessiert. Und die Theorie informationseffizienter Finanzmärkte besagt vereinfacht, dass in den Kursen an den Finanzmärkten alle Informationen der Finanzmarktakteure verarbeitet bzw. enthalten sind.

Übertragen auf den Markt für Sport- bzw. Fußballwetten heißt das, dass in den Wettquoten alle Informationen darüber enthalten sein müssten, welche Mannschaft das Spiel mit welcher Wahrscheinlichkeit gewinnt. Die Wettquoten geben also darüber Auskunft, wer Favorit und wer Außenseiter ist.

Interessanterweise zeigt sich allein an der Existenz von Wettmärkten, dass die einfache Formel „Geld schießt Tore“ nicht ausreicht, um den Sieger eines Spieles sicher zu prognostizieren. Würde immer die reichere bzw. spielerisch bessere Mannschaft gewinnen, dann würde sich ja niemand finden, der gegen den Favoriten wettet.

Es müssen also während des Spiels Dinge passieren, die niemand vorhersehen kann, selbst die besten Experten nicht. Und das ist eben der Zufall, der in jedem Spiel vorkommt und der auch ein Spiel entscheiden kann.

Der Zufall setzt sich zusammen aus Glück/Pech – also etwa Schiedsrichterfehlentscheidungen, Pfosten- und Lattentreffern oder Verletzungen wichtiger Spieler in einer frühen Phase des Spiels – und der Tagesform. Die Tagesform lässt sich im Vorwege nicht erahnen, sie offenbart sich erst während des Spiels.


Melde Dich jetzt zum Newsletter an!


FuWi: Ab wann gilt eine Mannschaft hierbei als Favorit und was passiert bei ausgeglichenen Duellen?

Jörn QuitzauDer Favorit ist immer die Mannschaft, für deren Sieg es die geringere Wettquote gibt. Gewinnt der Favorit, gibt es dafür logischerweise immer weniger Geld als wenn der Außenseiter das Spiel für sich entscheidet.

Bei ausgeglichenen Duellen ist die Wettquote für beide Mannschaften identisch, falls eine der Mannschaften das Spiel doch für sich entscheiden kann.

FuWi: Insgesamt tragen die Faktoren Glück/Pech & Tagesform saisonübergreifend dazu bei, dass über 50% der Spiele durch den Zufall beeinflusst werden. Können Sie eine Aussage darüber treffen, wie stark der Einfluss der beiden Wirkungsformen ist?

Jörn Quitzau: Für meine empirische Messung des Zufalls ist die Unterscheidung von Glück und Tagesform nur eine gedankliche Trennung bzw. Erklärung, was für Zufallsmomente ein Spiel beeinflussen können.

Im Ergebnis quantifiziere ich den Zufall insgesamt, also die Gesamtheit aus Glück und Tagesform. Ich kann beides quantitativ nicht auseinander dividieren.

FuWi: Gibt es für die Höhe des Zufallseinflusses internationale Vergleiche?

Jörn Quitzau: Ich habe für einige Spielzeiten auch die Wettquoten der britischen und der spanischen Liga ausgewertet. Die Werte sind den Ergebnissen für die Bundesliga sehr ähnlich.

Der Zufallsfaktor bewegt sich im Schnitt um die 50 %. Das bedeutet, dass im Schnitt jedes zweite Spiel nicht vom Favoriten gewonnen wird. Bei den ausländischen Ligen zeigt sich anhand der Quoten aber, dass es in der Vergangenheit mehr sehr unausgeglichene Spiele gab.

Darin kommt zum Ausdruck, dass zum Beispiel in Spanien Real Madrid und der FC Barcelona dem Rest der Liga weit überlegen waren. Inzwischen haben sich aber die Quoten der Spiele des FC Bayern München den spanischen Verhältnissen angenähert.

FuWi: Liegt es im Interesse der Clubs / der DFL, den Einfluss von Zufall zu minimieren? Nichts anderes passiert doch mit der Torlinientechnik und immer mehr Schiedsrichtern, oder?

Jörn Quitzau: Ganz richtig. Gerade die großen Klubs haben ein Interesse, den Faktor Zufall möglichst auszuschalten. Letztlich verhindert der Faktor Zufall ja immer mal wieder, dass die Mannschaft mit dem größeren sportlichen Potenzial auch tatsächlich als Sieger vom Platz geht. Videobeweise etc. werden den Faktor Zufall reduzieren.

FuWi: Eine Frage noch zum Abschluss: Werden Sie uns weiter auf dem Laufenden halten, wie sich der Einfluss des Zufalls in der Bundesliga entwickelt? Was ist Ihre Prognose?

Jörn Quitzau: Ich sammele gerade für die laufende Saison wieder die Wettquoten und werde sie am Ende der Saison auswerten und den Faktor Zufall quantifizieren. Ich bleibe also am Ball.

Sehr wahrscheinlich wird der durchschnittliche Zufallseinfluss hoch bleiben, vermutlich knapp unter 50 %. Nimmt man Bayern München und vielleicht noch Borussia Dortmund raus, kann ja in der Liga immer noch jeder jeden schlagen.

Aber abseits des Durchschnittswertes wird sich zeigen, dass einzelne Spiele im Vorwege schon so gut wie entschieden sind. Mit einem Tipp auf einen Bayern-Sieg lässt sich ja schon länger kein richtiges Geld mehr verdienen. Die extrem niedrigen Siegquoten für den FC Bayern signalisieren, dass es schon eine Menge Zufall geben muss, um den Bayern-Sieg zu verhindern.

Wenn etwa Manuel Neuer in der zweiten Minute eine Rote Karte erhalten würde, dann wäre das Spiel wohl relativ offen. Aber so oft kommt das eben nicht vor…

FuWi: Das stimmt! Vielen Dank, dass Sie uns Rede und Antwort gestanden haben!

Jörn Quitzau: Sehr gerne!


Ausblick

Natürlich darf ein Ausblick Ausblick auf die kommende Woche nicht fehlen.

Anfang Oktober war ich von der Hamburg School of Business Administration bei einem Vortrag von Joachim Hilke (Marketingvorstand der HSV Fußball AG).

Gerne möchte ich Euch an dieser Stelle von seinen spannenden Thesen berichten.


Digitalisierung des Fußballs
LINKEDIN
SOCIALICON
Facebook
Twitter
Follow Me
YOUTUBE

2 thoughts on “Interview: Wie misst man Zufall im Profifußball?

  • 11. Mai 2019 at 14:00
    Permalink

    Der Zufall im Fußball wird von Fußballmanagern, Trainern, Fans usw., vor allem aber von Reportern, Sportjournalisten und Kommentartoren häufig unterschätzt. Das hat diverse, vor allem aber zwei Gründe:
    1. Die Kommentartoren glauben, dass von ihnen mehr Verständnis und Einsicht in die Struktur und die Strategie eines Spiels erwartet wird, als die (als banal empfundene) Erklärung, dass der Zufall eine wesentliche Rolle gespielt hat.
    2. Journalisten allgemein, und Sportjournalisten vielleicht im besonderen, haben leider oft ein gebrochenes Verhältnis zur Mathematik, und damit auch zur Stochastik.

    Dabei wäre es für viele Spiele so viel angemessener und überzeugender, wenn die Rolle des Zufalls in die einzelne Spielanalyse kompetent mit einbezogen würde.

    Reply
    • 11. Mai 2019 at 16:00
      Permalink

      Vielen Dank für Ihren Kommentar, Prof. Dr. Trottenberg. Ich kann Ihnen nur absolut zustimmen. In der Berichterstattung ist so gut wie nie vom Zufall zu lesen!

      Bauen Sie den Effekt denn in Ihre Vorlesungen mit ein?

      Liebe Grüße und ein schönes Wochenende
      Ralf Leister

      Reply

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.